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„Teilen statt Tonne“

Es ist Mittwoch, ein Tag vor Christi Himmelfahrt. Viele Menschen in Darmstadt treibt es umher. Schnell noch die letzten Besorgungen machen, denn am Feiertag haben die Läden und Supermärkte ja schließlich geschlossen. Die Routine von Miriam Heil sieht anders aus. Sie sitzt in einem kleinen Café mit einem schönen, sattgrünen Garten voller Kräuter- und Gemüsepflanzen und trinkt einen kühlen Apfelsaft. Heil ist seit 2019 die erste Vorsitzende des foodsharing Darmstadt e.V. Wir sind verabredet, weil sie mir mehr über ihre ehrenamtliche Arbeit beim foodsharing erzählen möchte. An diesem besonderen Ort, weil hier nachhaltig gewirtschaftet wird und mitten im Trubel Darmstadts eine kleine grüne Oase erhalten bleiben soll.

Der Verein, für den sich die 35-Jährige so leidenschaftlich einsetzt, existiert erst seit 2019, ihr Engagement in der Lebensmittelrettung jedoch schon viel länger – wenn auch zu Beginn auf anderem Weg. Im Studium kam Heil zum ersten Mal in Kontakt mit Foodsaving-Aktionen, bei denen sie mit ihren Freund:innen in die Müllcontainer Darmstadts gestiegen ist, um einwandfreie aber dennoch weggeworfene Lebensmittel zu retten. Was für viele vielleicht zunächst unüblich klingt, hat ihr jedoch die Augen geöffnet, wie sie erzählt. “In den Müllcontainern lag so viel Essen und alles davon war noch absolut genießbar. Und dann schaut man in die Umwelt und denkt sich, das kann doch nicht wahr sein – das ist Nahrung und kein Müll?” In ihr reift großes Unverständnis. Unverständnis für die Konzerne, die so viel herstellen. Unverständnis für die Märkte und Läden, die alles was nicht verkauft wird wegwerfen und auch Unverständnis für die Verbraucher, die arglos mit Nahrungsmitteln umgehen, die eigentlich noch absolut genießbar wären.

Das alles ist gut zehn Jahre her. Damals hatte sie mit einer Gruppe von gut zehn Leuten mit dem “Containern” begonnen. Das Problem an der Sache: Containern ist in Deutschland nach wie vor illegal. Und wie will man auf einen Missstand wie den der weggeworfenen Nahrung hinweisen, wenn man öffentlich nicht einmal klar Position beziehen darf? 2013 schloss sich die Foodsaverin deswegen foodsharing Deutschland an. Eine Plattform, die sich zunächst über soziale Netzwerke und das Internet verabredet und ausgetauscht hat und dem Retten der Lebensmittel einen legalen Rahmen geben konnte. Über mehrere Jahre hinweg liefen die Bemühungen für Darmstadt einen Foodsharing-Verein zu gründen, mit dem man öffentliche ehrenamtliche Bildungsarbeit, Prävention und Beratung anbieten kann.

Ein Leben für eine bessere Welt

Seitdem ist Lebensmittelverschwendung und wie man sie umgehen kann, der Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung ein zentraler Baustein in Heils Leben. Denn auch hauptberuflich setzt sie sich als Bildungsreferentin und Multiplikatorin an Schulen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie als Klimaschutzmanagerin der evangelischen Kirche ein. Von außen betrachtet ein Leben für eine bessere Welt, auf der niemand hungern muss und für die faire Verteilung von Ressourcen. Konzentrieren tut sie sich dabei vor allem auf Darmstadt und den Verein, der ihr so am Herzen liegt. Auf die Frage hin, was foodsharing ausmacht, antwortet sie mir vielsagend “für mich ist es Teilen statt Tonne. Ressourcen schonen und der Arbeit, die in der Nahrung und den Produkten steckt, einen Wert geben”. Denn es steckt sehr viel mehr hinter einem produzierten Lebensmittel, egal ob die eingesetzte Arbeitszeit, Wasser für die Produktion oder sonstige Dinge, die beim Kauf schon keine Rolle mehr spielen. Die auch beim Wegwerfen scheinbar keine Rolle mehr spielen.

Hier wollen Heil und ihre inzwischen rund 350 Vereinsmitglieder (alleine in Darmstadt) die Struktur des Wegwerfens unterbrechen. Weil es in Deutschland für die Konzerne und Supermärkte keinen Anreiz gibt, Nahrungsmittel nicht wegzuwerfen, braucht es das Ehrenamt, um hier einzugreifen, sagt sie. Dabei ist ihr jedoch auch noch einmal wichtig zu betonen “wir sind keine Konkurrenz zu Institutionen wie der Tafel! Wir retten zwar ähnlich wie sie Lebensmittel, verteilen und verschenken diese aber komplett dezentral und es ist immer noch genug da, was gerettet werden soll und muss”. Und das alles funktioniert in Darmstadt wie folgt: die geschulten Foodsaver:innen gehen zu den teilnehmenden Kooperationspartner:innen  mit denen vorher bereits Termine für Abholungen festgelegt wurden. Vor Ort werden unter den  gängigen Hygienebestimmungen die Lebensmittel auf ihre Essbarkeit hin überprüft, sortiert und schnell verladen.

„Hauptsache die Lebensmittel werden gegessen“

Von dort finden sie ihren direkten Weg zu den Endverbraucher:innen. Das können Nachbarschaftsnetzwerke, kooperierende Sozialeinrichtungen oder die eigene Verwertung sein. Frei nach dem Motto “Hauptsache, die Lebensmittel werden gegessen”. Da es nahezu immer zu viele Lebensmittel für den Eigenverbrauch sind, besteht ebenfalls die Möglichkeit, übrige Lebensmittel  zu  sogenannten “Fairteilern” zu bringen. Das sind meist Kühlschränke und zusätzliche Regale, die in Einrichtungen oder auf privatem Gelände stehen und in denen die Lebensmittel jeweils gelagert werden können. Hat der oder die Foodsaver:in seine gerettete Ware ausgeliefert, können sich Menschen, die an dem Fairteiler-Netzwerk teilnehmen, unter der Einhaltung von Hygieneregeln einfach bedienen. Standorte für einen Fairteiler sind beispielsweise am Campus der Hochschule Darmstadt oder direkt an der technischen Universität Darmstadt zu finden. Daneben existieren weitere halböffentliche Fairteiler, die beispielsweise bei Studenten-Verbindungen oder auf Privatgrundstücken stehen und sich über soziale Netzwerke wie Telegram oder WhatsApp organisieren. Die Reinigung der Fairteiler erfolgt regelmäßig und wird entsprechend dokumentiert. Ohne Geld zu zahlen, erspart man den geretteten Dingen somit den traurigen Weg in die Mülltonne.

Das Konzept als solches ist einfach und es erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Sogar die Corona-Pandemie konnte diesem “Trend” nichts anhaben. Was jedoch gelitten hat, ist laut Heil das Zwischenmenschliche. Mit dem immer größer werdenden Netzwerk an Vereinsmitgliedern geht das persönliche Verhältnis zu anderen Foodsaver:innen verloren. Auch die Events und Infoabende, die anfangs noch in kleinen Wohnungen stattfanden und dann in immer größere Veranstaltungsorte abwandern mussten, fehlten. Ein hartes Stück Arbeit wird künftig also wieder das Anstoßen dieser Infoabende sein, denn die Informationen, die hier an Darmstädter:innen übermittelt werden, sind der wichtigste Teil des Foodsaving-Prozesses. Denn nur wenn die Menschen in Darmstadt sehen, dass das Lebensmittelgeschäft wie es jetzt ist nicht nachhaltig genug ist, um es für immer aufrecht zu erhalten, können wirkliche Veränderungen stattfinden, so die Vereinsvorsitzende. 

Finanziert wird das Foodsharing in Darmstadt allerdings nicht etwa über Mitgliedsbeiträge, sondern über Spenden von Firmen, Privatmenschen oder auch der Stadt. Ein wichtiges Detail, denn im Gespräch macht Heil immer wieder klar, “dass Lebensmittelversorgung nicht mit monetären Gedanken zu tun haben sollte. Bei uns soll jeder mitmachen können und sich engagieren können, egal wie das Einkommen ausfällt”. Aber auch hier sagt die Vereinsvorsitzende “ist es mir lieber, dass die Spender:innen ihr eigenes Handeln reflektieren und etwas an der Grundsituation ändern – einen Obolus bezahlen und sich danach aus der Verantwortung ziehen, damit ist niemandem geholfen”. Hinschauen und handeln, das lässt sich quasi als Motto für die Foodsharing-Bewegung und ihren Darmstädter Ableger festhalten. Und hier in Darmstadt macht sogar die Kommune etwas, damit der Verein und seine Ehrenamtler:innen ordentlich arbeiten können. Konkret sieht das dann so aus, dass man Foodsharing in Darmstadt eine Plattform bietet. Immer wieder lädt die lokale Politik die Vertreter:innen des Vereins zu Veranstaltungen mit dem Themenschwerpunkt Umwelt ein. Auch werden der Verein und seine Arbeit für Preise vorgeschlagen, durch die dann neue Gelder generiert werden können, um die ehrenamtliche Arbeit am Laufen zu halten. Ob und inwiefern die Stadt selbst gegen Lebensmittelverschwendung angeht – darin hat Heil keinen Einblick. Sicher ist sie sich jedoch, dass man den Foodsaver:innen in Darmstadt keine Knüppel zwischen die Beine wirft und deren Engagement durchweg positiv betrachtet.

Ein Wunsch für mehr Perspektive

Die wichtigste Frage an die Ehrenamtlerin war jedoch die Folgende: Was wünschst du dir von den Menschen in Darmstadt in Bezug auf das Foodsharing? Ihre Antwort darauf war ebenso smart wie vorhersehbar. Denn ihr Wunsch ist, dass die Darmstädter:innen den Verein nicht als Ausrede nehmen, dass die Mitglieder das Problem in Darmstadt “schon lösen werden”. Die Bürger:innen müssten selbst aktiv werden und sich lieber zweimal überlegen, ob die Reste wirklich weggeworfen werden müssen oder ob sie anderen im Zweifelsfall noch eine große Freude damit machen könnten. Denn für sie ist klar: “Der Verein ist hoffentlich nur eine Zwischenstation in einem längeren Prozess, in dessen Lauf wir uns selbst überflüssig machen. Denn nur wenn noch mehr Menschen anfangen, ihre Lebensmittel zu teilen anstatt sie wegzuwerfen, können wir wirklich einen Unterschied machen”. Der Verein solle dabei lediglich eine Anleitung, eine Art Handlungsmaxime für die darstellen, die kaum Berührpunkte mit Knappheit und Mangel haben. Bis dahin gilt es allerdings noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten.


Mit diesen Worten steht Heil auf. Sie nimmt einen letzten Schluck aus ihrem Glas, bringt es zur Ausgabe zurück und lädt mich ein, sie bei einer Foodsaving-Aktion zu begleiten. Denn kurz nach dem Interview war sie noch mit einer Bäckerei verabredet, die für diesen Tag Feierabend machte. An deren Verkaufsstand angekommen sieht man noch einmal was die Ehrenamtler:innen in Darmstadt umtreibt. Denn alles was die Bäckerei an diesem Tag nicht verkaufen konnte, würde an dieser Stelle in die Tonne wandern – wenn da nicht die Ehrenamtlerin wäre, die nach einem kurzen Gespräch mit dem Angestellten direkt anfangen darf ihre mitgebrachten Beutel akribisch zu füllen. Zufrieden verabschieden wir uns von dem Verkäufer, der gerade ebenfalls zu einem Foodsaver wurde. Danach verrät mir die 35-Jährige, dass sie die Lebensmittel nun noch in ihrer Straße verteilen möchte. Mit diesen Worten steigt sie auf ihr Fahrrad und lässt mich mit zahlreichen geretteten Lebensmitteln und dem Gefühl zurück, dass ihre ehrenamtliche Arbeit oft übersehen, aber eben auch unersetzlich für zahlreiche Menschen ist.

Bilder: foodsharing Darmstadt e.V.
Porträtbild Quelle: akm__20200409_foodsharing_darmstadt

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